Presseartikel: Schweizer Bauer

«Ich habe es ihnen gezeigt − und mir»

 «Es war eine spezielle Situation. Ich stand im BH und kurzen Hosen da. Er nur in Unterhosen. Wir haben zusammen Kaffee getrunken.» Das erzählt Anita Marina Zahnd und lacht. Die Szene ereignete sich im Frühling vor einem Jahr. Kurz vor dem Casting für den Bauernkalender 2022. Zahnd war zu früh dort, hatte sich umgezogen und stand dann mit dem jungen Mann, der später das Januarbild zieren würde vor der Tür. Als sie reingebeten wurde, war sie nervös. «Es lag nicht daran, dass ich so leicht bekleidet vor die Jury treten musste, mit mehr Kleidern wäre es nicht besser gewesen», sagt sie. Es sei ihr schwer gefallen, vor den Leuten zu reden, und sie habe deshalb viel zu schnell gesprochen. «Als es vorbei war, war ich überzeugt, dass sie mich nicht nehmen würden», so die heute 19-Jährige. 

Keine einfache Zeit
Ihre Selbstzweifel kommen nicht von ungefähr. Die junge Frau wurde während ihrer Schulzeit über Jahre gehänselt und gemobbt, wie sie sagt, es wurde «regelmässig» auf ihr «rumgehackt». Das hatte eine nachhaltige Wirkung auf sie. Selbst als sie nicht mehr zur Schule ging und die Lehre als Schreinerin anfing, hafteten ihr die schlechten Gefühle an. Sie fühlte sich wertlos, machte sich bei jedem Fehler selbst klein und litt im Stillen. Sie vertraute sich niemandem an. «Ich habe nie eine Träne vergossen und frass alles in mich rein», während sie das erzählt, tönt ihre Stimme weniger fest als zuvor, und ihr Atem scheint schwerer zu gehen. 

Erst als sie vor zwei Jahren ihren Freund kennenlernte, öffnete sie sich. Sie schüttete ihm ihr Herz aus und konnte sich zum ersten Mal ausweinen. «Das hat die Wende gebracht.» Von da an fühlte sie sich stärker. Sie fasste sogar den Mut, sich für den Bauernkalender anzumelden. «Als ich schon nicht mehr damit rechnete und sicher war, dass ich nicht im Kalender erscheinen würde, erreichte mich das Mail.» Sie hatte am Casting überzeugt und wurde zum Fotoshooting für das Kalenderbild eingeladen. «Ich hatte wahnsinnig Freude», sagt sie. All denen, die immer sagten, sie sei hässlich und könne nichts, habe sie es gezeigt. «Und auch mir selbst konnte ich erneut beweisen, dass ich etwas kann.» Das habe ihr Selbstbewusstsein gesteigert. 

Zudem nutzt sie die mediale Aufmerksamkeit, die mit dem Erscheinen im Kalender verbunden ist, um ihre Botschaft zu vermitteln. Im «Blick» erschien ein langer Artikel über sie, in dem sie ihre Mobbingerfahrung ebenfalls thematisierte. Nicht zuletzt, um auf das Thema aufmerksam zu machen und aufzuzeigen, was es in den Betroffenen langfristig auslösen kann. Als der Artikel erschienen war, erreichten sie um die 200 Nachrichten über ihr Instagram-Profil. So gut wie alle waren positiv. Da sie das April-Girl ist, wie es im Bauernkalender-Jargon heisst, hängt ihr Bild jetzt in verschiedenen Ställen, Garagen und Zimmern. Und sie ist stolz darauf. Es sei eine Ehre, ein Teil dieses Projekts zu sein, sagt sie. 

Leidenschaft für Ziegen
Besonders freut sie, dass sie auf dem Bild mit Ziegen zu sehen ist. «Das war kein Zufall. Wenn ich von Ziegen spreche, leuchten meine Augen und ich könnte stundenlang über sie sprechen.» Das sei schon beim Casting klar gewesen. Auch der Stylistin sei es aufgefallen. Also haben sie sie mit Zwerggeissen abgelichtet. Das sei zwar nicht die Rasse, die sie daheim habe, aber «Hauptsache, Ziegen», sagt sie und lacht. Hätte man sie nicht am Telefon, sondern als Gegenüber, sähe man bestimmt ihre Augen leuchten. Das war schon immer so. Während andere im Kindergarten gesagt haben, ihr Hobby sei Fussball spielen, habe sie schon immer von der Ziegenzucht geschwärmt. Der ist sie treu geblieben. Auf dem Landwirtschaftsbetrieb ihrer Eltern kümmern sich vor allem ihre Mutter, ihre Schwester und sie um diese Tiere. Sie habe über 100 Ziegen, 60 davon melken sie, verarbeiten ihre Milch zu Käse, den sie in Bern auf dem Markt verkaufen. Anita Marina Zahnd gehören 30 Toggenburgerziegen. Diese melkt sie aber nicht einfach: «Ich bin auch eine angefressene Züchterin», sagt sie. Und zwar eine erfolgreiche. An der letzten Berner Eliteschau hatte sie eine Miss, und auch sonst ist sie immer wieder erfolgreich an Ausstellungen. 

Gut fürs Image? 
Obwohl sie zurzeit in der Ausbildung zur Schreinerin ist, will sie später bauern. Entweder auf ihrem elterlichen Betrieb oder auf dem ihres Freundes, der ebenfalls Ziegen hält. Deshalb will sie nach der Lehre die Bäuerinnenschule machen und in diesem Berufsstand Fuss fassen. Das führt zur Frage, ob der Bauernkalender diesem zu einem besseren Image verhilft. «Wenn jemand Anbindeställe schlecht findet, wird er die nicht plötzlich gut finden nur wegen des Kalenders», so Zahnd. «Mit den Bildern können wir aber zeigen, dass Bäuerinnen und Bauern durchaus jung und attraktiv sind und nicht alle alt und ungeduscht, wie das vielleicht einige immer noch denken.» Und sie macht allen Mut, die mit dem Gedanken spielen, sich fürs Bauernkalender-Casting anzumelden. «Macht es einfach. Ich habe es nicht bereut», sagt sie und wirkt tatsächlich erstarkt.

 

Quelle: Schweizer Bauer vom 09.04.22, Julia Spahr

 

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